Wissenschaftliche Artikel zum KZ Buchenwald
Volkhard Knigge: „Unschuldige Öfen“
Einleitung des Begleitbandes zur Wanderausstellung „Techniker der 'Endlösung'. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“. Im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora herausgegeben von Volkhard Knigge in Zusammenarbeit mit Annegret Schüle und Rikola-Gunnar Lüttgenau sowie unter Mitarbeit von Johanna Wensch und Friedemann Rincke, Weimar 2005, S. 5-11.
Ein windiger Tag in Auschwitz zwischen Herbst 1943 und Herbst 1944. Die junge Lehrerin Marianne Busch kommt von der Schule und findet zu Hause ihre Wirtin beim Saubermachen ihres Zimmers vor. „Sie haben doch eben erst hier Staub gewischt, und nun sehen Sie sich das einmal an!“, begrüßt sie die Wirtin ein klein wenig konsterniert. „Wie Zigarrenasche“ – erinnert sich Marianne Busch – „lag es in schönen weißgrauen Flocken ganz sonderbarer Struktur auf dem schwarzen Holz meines Schreibtisches. 'Was mag das wohl sein?'“ Die Wirtin lehnt sich prüfend aus dem Fenster: „Von den I.G. Werken kann es nicht hergeweht sein, denn der Wind weht heute vom KZ her. Sie verbrennen dort wieder welche im Krematorium. Also ist das Menschenasche. Wir haben das schon manchmal gehabt.“
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Sandra Starke: „Papi macht Witzchen“. SS-Soldaten als Knipser
Im Konzentrationslager war es verboten, zu fotografieren. Es galt als militärisches Objekt und überall waren deutlich sichtbar Verbotsschilder aufgestellt. Von dem 1937 errichteten Lager durfte es keine Fotos geben, vor allem keine von Fremden. Die ersten, die im Lager fotografierten, waren Beamte der Weimarer Kriminalpolizei, die im offizielen Auftrag den Aufbau des Lagers dokumentierten. Karl Koch, der Lagerkommandant, wiederholte häufig und eindringlich das Verbot für die SS. Besonders der Kommandanturbereich und die Häftlinge sollten nicht fotografiert werden.
Harry Stein: „Nackt unter Wölfen“ - literarische Fiktion und Realität einer KZ-Gesellschaft
Der Roman „Nackt unter Wölfen“ des Buchenwaldhäftlings Bruno Apitz gehörte in der DDR zu den aufwendig inszenierten, populären Erzählungen über die Welt der Konzentrationslager. Seine Anziehungskraft hielt auch nach dem Ende der DDR an. Sie beruhte auf einer Konstellation, die dem wirklichen Geschehen in den Lagern fern, sinnstiftenden Auswegen daraus allerdings nahe steht: eine Gruppe von Männern, selbst permanent bedroht, rettet aus unbedingter moralischer Überzeugung, die gegen Zweifler und Funktionäre die Oberhand gewinnt, ein verlorenes Waisenkind; die unbedingte Überzeugung ist eine kommunistische und wird durch diese Tat für die Zukunft legitimiert. Sie geht bis zur Selbstaufopferung des Einzelnen, um die Gruppe und das Kind zu retten. Befreit von der wirklichen Geschichte [die Rettung von Stefan Jerzy Zweig] mit ihren schwer erzählbaren, nicht aufzulösenden Gegensätzen und Erfahrungen, wird aus der widersprüchlichen nationalsozialistischen Lagerwelt ein klarer normativer Ertrag für die Gegenwart gewonnen. Der Roman zählte zu den Leitmythen des staatlichen Antifaschismus der DDR und gab dem symbolischen Ort Buchenwald, der 1958 mit einem Nationaldenkmal besetzt wurde, die Legende.
Wisssenschaftliche Artikel zum Speziallager Nr. 2
Bodo Ritscher: Die Einrichtung des sowjetischen Speziallagers Buchenwald im Jahre 1945
Ein Speziallager für Thüringen
Am 4. August 1945 wendet sich der im ehemaligen KZ Buchenwald beschäftigte Maschinenmeister Peter Rätz an die Weimarer Behörden. Der sowjetische Kommandant hatte zuvor angewiesen, dass die deutschen Arbeiter auch nach der Heimreise der letzten ausländischen Lagerinsassen zu bleiben hätten, „weil die von uns ausgeführten Arbeiten ihren Fortgang nehmen müßten.“ Rätz will erreichen, dass dem andauernden Vandalismus im Lager Einhalt geboten wird und dass dort befindliche Materialien bzw. Ausrüstungen nicht länger in dunklen Kanälen verschwinden. Die Aktennotiz nimmt ihren Weg durch die Instanzen. Als die Stadtwerke handeln wollen, ist die „Abfuhr der in Buchenwald lagernden Gegenstände“ nicht mehr möglich. Man schreibt den 1. September 1945. Aus dem ehemaligen NS-Konzentrationslager war das sowjetische Speziallager Nr. 2 geworden.
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Volkhard Knigge: Zweifacher Schmerz. Speziallagererinnerung jenseits falscher Analogien und Retrodebatten
Erschienen in: Petra Haustein, Annette Kaminsky, Volkhard Knigge, Bodo Ritscher (Hg.): Instrumentalisierung, Verdrängung, Aufarbeitung. Die sowjetischen Speziallager in der gesellschaftlichen Wahrnehmung 1945 bis heute, Göttingen 2006, S. 250-264.
Verfolgt man Auseinandersetzungen um die angemessene Erinnerung an die sowjetischen Speziallager in der SBZ/DDR wie die jüngst von Jörg Schönbohm ausgelöste – der brandenburgische Innenminister hatte in seiner den KZ-Opfern gewidmeten Gedenkrede zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen auch aller Insassen des sowjetischen Speziallagers Nr. 7/Nr. 1 gedacht – , ist man verblüfft. Geredet und nur zu häufig polemisiert wird, als hätten die nach 1990 intensivierten Forschungsanstrengungen zur Geschichte und Bedeutung dieser Lager nicht zu Erkenntnisfortschritten geführt, die zugleich objektivierte Orientierungspunkte für sachlich und ethisch angemessenes historisches Erinnern geben. Damit die Erinnerung an die sowjetischen Speziallager und an das mit diesen Lagern untrennbar verbundene stalinistische Unrecht durch die Reduktion der Erinnerung auf Legenden oder politisch funktionalisierte Geschichtsbilder nicht delegitimiert wird, scheint es dringend geboten, die besonderen Herausforderungen der Erinnerung an die sowjetischen Speziallager neuerlich ins Gedächtnis zu rufen und damit einen Beitrag für eine Geschichts- und Erinnerungskultur zu leisten, die sich in überholten Frontstellungen und überflüssigen Retrodebatten nicht verschleißt.
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