
Damit die Hintergründe besser nachvollzogen werden können, stellen wir hier noch einmal ein paar grundlegende Informationen zur Verfügung. Sie beziehen sich vor allem auf die notwendige Weiterentwicklung unseres Bildungskonzeptes und die neuen Rahmenbedingungen, die durch die Finanzämter vorgegeben werden:
Aktuelle Herausforderungen der Gedenkstättenpädagogik
Fast 80 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus steht die Gedenkstättenpädagogik vor neuen Herausforderungen. Aufgrund des großen zeitlichen Abstandes besuchen mittlerweile Jugendliche die Gedenkstätten, deren Großeltern den Nationalsozialismus schon nicht mehr selbst erlebt haben. Sie haben ganz andere Fragen an den historischen Ort als noch ihre Elterngeneration. Zudem sind sie - neben fundierten Online-Angeboten - einer zunehmenden digitalen Desinformation insbesondere in Social Media ausgesetzt. Geschichtsrevisionismus und NS-Verharmlosung können sich heute viel leichter verbreiten als noch vor zehn oder 20 Jahren. Dem müssen die Gedenkstätten eine historisch fundierte, quellengestützte intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte entgegensetzen.
Die in den 1990er Jahren entwickelten „klassischen“ Betreuungsformate, also anderthalb- oder maximal zweistündige Führungen im Frontalformat, zeigen sich unserer Erfahrung nach diesen Herausforderungen nicht gewachsen; das belegen auch alle Evaluierungen der Gedenkstättenpädagogik.
Verbesserung der Besucher:innen-Betreuung in der Gedenkstätte Buchenwald
Die überkommenen Bildungsformate werden deshalb in nahezu allen deutschen Gedenkstätten, auch in Buchenwald und Mittelbau-Dora, seit einigen Jahren durch (zeit)intensivere, auf Diskurs und forschendes Lernen ausgerichtete Formate ersetzt. Ziel ist es, bei den Besucher:innen historische Urteilskraft und ein reflexives Geschichtsbewusstsein zu stärken. Dafür werden in den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora die Gruppenangebote für Tages- und Mehrtagesveranstaltungen ausgebaut. Aber auch das Basisangebot für angemeldete Gruppen wird intensiviert: Die Mindestdauer für Gruppenbetreuungen wird derzeit von zwei auf drei Stunden erhöht. Dabei geht es nicht darum, den zu vermittelnden historischen Inhalt um ein Drittel zu erhöhen, sondern mit den Gruppen Zeit für Gespräche und Reflexion zu haben.
Außer in den Wintermonaten, insbesondere vor und nach den Sommerferien, herrscht in der Gedenkstätte Buchenwald vor allem vormittags ein derart großer Andrang von Besucher:innen-Gruppen, dass von einer angemessenen bzw. nachhaltigen Lernatmosphäre nicht die Rede sein kann. Teilweise halten sich mehr als 20 Schulklassen gleichzeitig in der Gedenkstätte auf. An Engstellen, etwa am ehemaligen Lagertor oder auch vor dem ehemaligen Krematorium, kommt es zur Staubildung; lärmende Schüler:innen vertreiben sich dort die Wartezeit.
Die Gedenkstätte bemüht sich, die Situation zu verbessern, indem die Betreuung von Besucher:innen-Gruppen zeitlich und topographisch entzerrt wird (indem auf freie Termine am Nachmittag oder von Anfang November bis Ende Februar verwiesen wird oder die Gruppenbetreuung an Orten im Gedenkstättengelände stattfindet, die nicht ganz so stark frequentiert sind). Dies wird jedoch durch den Umstand erschwert, dass die Koordination der Gruppenbesuche nicht in einer Hand liegt, da neben der Gedenkstätte auch der Förderverein Buchenwald e.V. Gruppenführungen anbietet.
Bisherige Regelung der Begleitung von Besucher:innen
Dass der Förderverein überhaupt Führungen anbietet, hat historische Gründe und geht auf eine Kooperationsabsprache Anfang der 2000er Jahre zurück. Zum damaligen Zeitpunkt war der Bund nicht bereit, die erforderlichen Personalstellen für Besucherführungen im Haushalt der Stiftung einzuplanen. Um den Bedarf an Nachfragen zu decken, wurde dem Förderverein erlaubt, Führungen für Individualbesucher:innen auf Spendenbasis durchzuführen unter der Bedingung des Einsatzes von Honorarkräften, die von der Stiftung geschult und zertifiziert wurden. Stiftung und Förderverein bedienen sich demnach der gleichen Honorarkräfte für die Durchführung von Führungen. Grundsätzlich ist es nach der Hausordnung jedoch so, dass es keinem externen Anbieter erlaubt ist, Führungen anzubieten.
Die Aufgabenteilung zwischen Stiftung und Förderverein sieht eine klare Trennung der jeweiligen Angebote für Besucher:innen vor: Der Förderverein bietet für Individualbesucher:innen der Gedenkstätte anderthalbstündige Überblicksführungen zum historischen Ort an. Pädagogische Formate für angemeldete Besucher:innen-Gruppen (ca. 90 Prozent davon sind Schüler:innen) sollen hingegen ausschließlich durch die Bildungsabteilung der Stiftung angeboten werden. Die Bildungsformate reichen von diskursiven Betreuungen im Schwerpunkt mit Rundgang ab 3 Stunden Dauer über Ganztagesseminare bis zu Mehrtagesangeboten.
Eigentlich könnte die Aufgabenteilung zwischen Verein und Stiftung gut funktionieren. In den letzten Jahren ist jedoch eine Konfliktlage dadurch entstanden, dass in den Wintermonaten die durch den Förderverein erzielten Einnahmen aus dem Führungsbetrieb (pro geführte Person erhebt der Verein eine Gebühr in Höhe von 8 EUR) nach eigener Aussage nicht ausreichen, um die Personalausgaben für die drei hauptamtlichen Beschäftigten des Vereins abzudecken. Um seine Einnahmen zu erhöhen, bietet der Förderverein deshalb – absprachewidrig – auch Führungen für angemeldete Gruppen an, insbesondere für Schulklassen. Diese Führungen haben ein anderes Konzept als die pädagogischen Angebote der Stiftung. Zudem sind die Gruppenführungen des Fördervereins mit der Gedenkstätte Buchenwald zeitlich nicht abgestimmt, so dass es in Stoßzeiten zwischen 11 und 14 Uhr an neuralgischen Punkten immer wieder zur Stauung von Besuchsgruppen kommt.
Umsatzsteuer für Einnahmen aus Gruppenbetreuungen
Bislang waren die Einnahmen, die die Stiftung aus den Gebühren für ihre eigenen Gruppenbetreuungen erzielt, nicht zu versteuern. Im Oktober 2022 teilte das Finanzamt Jena der Stiftung jedoch mit, dass ihre Bildungsarbeit einen Betrieb gewerblicher Art darstelle und damit keiner Steuerbefreiung mehr unterliege. Rückwirkend ab 2015 fordert das Finanzamt nun Körperschaftsteuererklärungen. Eine schriftliche Begründung fehlt, mündlich wurde aber die Auskunft gegeben, die Entscheidung stehe in Zusammenhang mit dem Führungsbetrieb durch den Förderverein, der dazu führe, dass die Tätigkeit der Stiftung den hoheitlichen Charakter verliert.
Unabhängig vom aktuellen Bescheid des Finanzamtes Jena hatte das Thüringer Finanzministerium bereits im Frühjahr 2022 die Einschätzung getroffen, dass wegen einer für den 1. Januar 2023 angekündigten Änderung des Umsatzsteuergesetzes (§ 2b UStG) die Einnahmen der Stiftung versteuert werden müssen, wenn es mit dem Förderverein formal einen zweiten Anbieter für Führungen bzw. Gruppenbetreuungen in der Gedenkstätte Buchenwald gibt – selbst wenn dieser zweite Anbieter in enger Kooperation mit der Stiftung agiert. Die Steuerpflicht bedeutet für die Stiftung einen erheblichen Verwaltungsmehraufwand im Umfang von rund einer halben Personalstelle sowie gegebenenfalls (je nach Höhe des festgelegten Steuersatzes) zusätzliche Steuerabgaben in Höhe von bis zu 50.000 EUR.
Die Stiftung kann nicht akzeptieren, dass die Führungstätigkeit des Fördervereins dazu führt, dass sie finanziell geschädigt wird. Anderen gewerblichen Anbietern von Führungen wurde im übrigen bereits in der Vergangenheit diese Tätigkeit untersagt.
In dem vom Förderverein angestrengten Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Weimar hat der Richter sehr deutlich gemacht, dass die Übernahme sämtlicher Bildungsangebote in der Gedenkstätte Buchenwald durch die Stiftung angesichts der sich ändernden Umsatzsteuergesetzgebung alternativlos war; andernfalls wären der Stiftung zusätzliche Kosten entstanden, die zu einer Anweisung der Rechtsaufsicht der Stiftung geführt hätten, Angebote Dritter zu unterbinden, um dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei der Verwendung öffentlicher Mittel zu entsprechen.
Lösungswege
Die genannten Probleme lassen sich vermeiden, wenn sowohl die pädagogische Betreuung angemeldeter Gruppen als auch die Überblicksführungen für Individualbesucher:innen einheitlich durch die Stiftung erfolgen. Damit kommt die Stiftung auch in vollem Umfang ihrem im Stiftungsgesetz verankerten Bildungsauftrag nach, zumal in den vergangenen Jahren ein Personalaufwuchs in der Bildungsabteilung der Gedenkstätte Buchenwald erreicht werden konnte (insgesamt zwei zusätzliche pädagogische Mitarbeiter:innenstellen). Eine Besteuerung der Stiftungseinnahmen aus Betreuungsgebühren ist nach diesem Modell ausgeschlossen.
Die Stiftung realisiert seit Anfang Januar 2023 in Eigenregie öffentliche Rundgänge für Einzelbesuchende der Gedenkstätte Buchenwald, die sehr gut angenommen werden. Da diese Rundgänge mit demselben, von der Stiftung ausgebildeten Personal durchgeführt werden, auf das zuvor auch der Förderverein zugegriffen hatte, gibt es hier keinerlei Einschränkungen was Qualität und Quantität angeht.
Die Übernahme der Führungen durch die Stiftung hätte dem Bekunden nach für den Förderverein eine erhebliche Einnahmeminderung bedeutet, was die Bezahlung seiner hauptamtlichen Angestellten mindestens erschweren hätte. Um den Verein finanziell zu entlasten, hatte die Stiftung deshalb bereits im letzten Jahr mehrfach mündlich und auch schriftlich angeboten, die beiden fest angestellten Beschäftigten des Fördervereins, die in der Buchenwald-Info in der Weimarer Touristinformation arbeiten, auf eigene Kosten zu beschäftigen; der Verein wird dadurch von den Personalkosten befreit. Dieses Angebot hatte der Verein leider abgelehnt. Stattdessen ließ er der Stiftung über seine Anwältin mitteilen, dass er darauf beharre, nach dem 31.12.2022 nicht nur Individualbesuchende, sondern auch angemeldete Gruppen betreuen zu wollen. Damit geht er über die bisherige Regelung weit hinaus und lässt keinerlei Kompromissbereitschaft erkennen.
Die Stiftung hat inzwischen zum 1. Januar 2023 die zwei Beschäftigten des Fördervereins übernommen, um den Weiterbetrieb der Buchenwald-Information in der Tourist-Information Weimar sicherzustellen.
Die Stiftung hofft weiterhin, in Gesprächen mit dem Förderverein konstruktive Lösungen zu finden – zugunsten des Ausbaus einer zeitgemäßen und nachhaltigen Bildungsarbeit in der Gedenkstätte Buchenwald und mit dem Ziel, das zivilgesellschaftliche Engagement, für das der Förderverein steht, einzubinden und zu stärken. Gemeinsam können der Förderverein und die Stiftung wichtige Kooperationsprojekte weiter voranbringen, etwa das vom Förderverein gegründete Netzwerk Außenlager oder auch gemeinsame Veranstaltungsreihen in der Stadt Weimar und im weiteren Umland.
Prof. Dr. Jens-Christian Wagner
Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora