
1998 beschloss der Deutsche Bundestag die erste Gedenkstättenkonzeption des Bundes.
Seither ist die Gedenkstättenarbeit in Deutschland stark ausgebaut worden und hat sich zu
einem zentralen Resonanzraum des Umgangs mit der NS-Vergangenheit entwickelt, der jährlich
mehrere Millionen Menschen erreicht. Zugleich wurde die Gedenkstättenarbeit
professionalisiert und institutionalisiert. Gedenkstätten, die an Opfer der NS-Verbrechen
erinnern, sind heute nicht nur Orte der Trauer und des Gedenkens, sondern auch moderne
Bildungseinrichtungen und zeithistorische Museen, für die entsprechende wissenschaftliche
Standards gelten.
Angesichts der sich verändernden finanziellen Rahmenbedingungen ist das Erreichte nunmehr
akut gefährdet. Aufgrund der derzeitigen Kostensteigerungen (Personal-, Energie und
Unterhaltungskosten) können die Gedenkstätten ihren bildungspolitischen Auftrag nur noch
unzureichend oder gar nicht mehr erfüllen. In vielen Gedenkstätten kann mangels personeller
und räumlicher Ressourcen jetzt schon nicht mehr die Nachfrage nach Bildungsprogrammen
abgedeckt werden. Ohne eine deutliche Steigerung der Zuwendungen wird der Anteil der
Gruppen, denen abgesagt werden muss, weiter zunehmen.
Zugleich stehen die Gedenkstätten vor der großen Herausforderung einer adäquaten Reaktion
auf die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Nicht nur der russische
Angriff auf die Ukraine bedeutet eine geschichtspolitische „Zeitenwende“. Autokratische und
antiliberale Tendenzen zeigen sich überall auf der Welt, extrem rechte Parteien sind in vielen
Ländern auf dem Vormarsch; die Verbreitung von Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus und
systematischer Desinformation vor allem im Internet hat sich während der Corona-Pandemie
noch einmal verstärkt. Zugleich wird der zeitliche Abstand zum Nationalsozialismus immer
größer. Überlebende der NS-Verbrechen, die gegen den zunehmenden Antisemitismus und
Rassismus intervenieren könnten, gibt es fast nicht mehr.
In dieser Situation können und müssen die Gedenkstätten der Gesellschaft Orientierung bieten
sowie der Desinformation und der Instrumentalisierung von Geschichte eine wissenschaftlich
und ethisch fundierte sowie quellengestützte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus
entgegensetzen – an den historischen Orten, aber mittels innovativer Formate auch im
digitalen Raum.
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung wurde folgerichtig die Aktualisierung der
Gedenkstättenkonzeption des Bundes, die Verstetigung des Förderprogramms „Jugend
erinnert“ und die auskömmliche Finanzierung der Gedenkstättenarbeit vereinbart. Im
Folgenden nimmt die Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten dazu Stellung, welche Schritte zur
Sicherung der Gedenkstättenarbeit in Deutschland notwendig sind. Die Arbeitsgemeinschaft
erklärt sich bereit, im politischen Diskurs über die Ausgestaltung neuer Ansätze der
Erinnerungskultur auf Bundesebene ihre Expertise einzubringen.
Aufgabenfelder einer bedarfsgerechten Gedenkstättenförderung
Die AG KZ-Gedenkstätten erwartet, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte auskömmliche
Finanzierung der Gedenkstätten sichergestellt wird. Bei der derzeitigen Finanzplanung für das
Jahr 2023 kann von einer auskömmlichen Finanzierung nicht die Rede sein. Dazu hat neben den
finanziellen Folgen der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine auch eine in den
vergangenen Jahren zunehmende Unwucht in der Bundes- und Länderfinanzierung im Bereich
der Erinnerungskultur beigetragen: Während in den institutionell von der BKM geförderten
Gedenkstätten selbst um Kleinstbeträge gestritten werden muss und viele Vorhaben gestreckt
oder sogar gestrichen werden müssen, wurden etliche Großprojekte (wie die Sanierung der
Zeppelintribüne/des Zeppelinfelds in Nürnberg, der Ausbau der Gedenkstätte Stalag 326 sowie
die Realisierung des Dokumentationszentrums „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungs-
herrschaft in Europa“), mit Volumina von teils über 100 Mio. Euro auf den Weg gebracht.
Über die strukturelle Unterfinanzierung hinaus gibt es in den Gedenkstätten einen erheblichen
Sanierungsstau im baulichen und digitalen Bereich. Aufgrund der hohen Besuchszahlen, die
nach der pandemiebedingten Delle wieder stark angestiegen sind, kann in vielen Gedenkstätten
die Nachfrage nach Bildungsprogrammen bei weitem nicht abgedeckt werden. Zudem fehlt es
an räumlichen Voraussetzungen für die vertiefende pädagogische Arbeit. Darüber hinaus sind
die meisten Dauerausstellungen fast oder sogar mehr als 20 Jahre alt und entsprechen damit
nicht mehr dem Forschungsstand und aktuellen Vermittlungsstandards.
Bei der Forschung zu den NS-Konzentrationslagern sind weiterhin erhebliche Lücken zu
verzeichnen, etwa zu bestimmten Häftlingsgruppen, zur Binnenstruktur der
Häftlingsgesellschaft oder auch zu den Tatbeteiligten und deren Organisation. Insbesondere die
Forschung zum gesellschaftsgeschichtlichen Kontext der NS-Verbrechen wie auch zu
Kontinuitäten und Brüchen nach 1945 weist noch große Lücken auf. Das gilt auch für die
alliierte Besatzungspolitik, vor allem im Hinblick auf die sowjetische Besatzungszone.
Nach dem „Boom“ der Forschung zur NS-Geschichte in den 1990er und frühen 2000er Jahren
wird das Forschungsfeld in den Universitäten mittlerweile nur noch unzureichend abgedeckt.
Doch auch zuvor schon waren Gedenkstätten bei der Konzeption ihrer Ausstellungen oder
neuer Bildungsformate auf eigene anwendungsbezogene Forschung angewiesen. Aufgrund
ihrer finanziellen Ausstattung wird das für die Gedenkstätten zunehmend schwierig. Im
Unterschied zu den Gedenkstätten zum DDR-Unrecht, die Anträge zu Forschungsprojekten bei
der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur beantragen können, gibt es eine solche Förderlinie
für die NS-Gedenkstätten nicht. Das Einwerben von Drittmitteln bei wissenschaftsüblichen
Fördereinrichtungen wiederum ist oftmals nicht möglich, weil die anwendungsbezogenen
Ansätze (etwa empirisch gesättigte regionalgeschichtliche oder biographische Studien für eine
Ausstellung) nicht den Förderkriterien der DFG oder vergleichbarer Institutionen entsprechen.
Bei der Förderung durch den Bund geraten Gedenkstätten als wissenschaftlich arbeitende
Kultureinrichtungen zudem zwischen die Förderlinien von BKM und BMBF, was die
Mittelakquise weiter erschwert. Das gilt auch für länderübergreifende Projekte.
Unbedingt nötig ist deshalb seitens des Bundes ein neues Förderinstrument für die
anwendungsbezogene Forschung in den Gedenkstätten, vorzugsweise auch für
länderübergreifende Verbundprojekte, die Gedenkstätten, Universitäten und
zivilgesellschaftliche Träger vernetzen. Unerlässlich ist, die Gedenkstättenförderung so
auszustatten, dass die Förderung längerfristiger und breit angelegter Forschungsprojekte
möglich wird. Forschungsstipendien für den Aufenthalt von Forschenden können eine sinnvolle
Ergänzung sein.
Zugleich sollte das Programm „Jugend erinnert“, das in der letzten Legislaturperiode als Modell
für ein stärkeres Engagement des Bundes in der Erinnerungskultur etabliert wurde, verstetigt
und erweitert werden. Die Erfahrungen und Ergebnisse der Förderprojekte sollten in diesem
Prozess berücksichtigt, allgemein zugänglich gemacht und die maximale Förderdauer verlängert
werden. „Jugend erinnert“ ist eine sinnvolle Ergänzung zu den beiden bislang in der
Gedenkstättenkonzeption des Bundes bewährten Wegen der anteiligen institutionellen
Förderung der Gedenkstätten von gesamtstaatlicher Bedeutung sowie den ebenfalls von Bund
und Ländern zu gleichen Anteilen getragenen Projektförderungen.
Auch Förderprogramme zur Digitalisierung sollten ausgebaut werden. Digitalisierungsprojekte
können insbesondere im Zusammenhang mit der Um- bzw. Neugestaltung von Gedenkstätten
wertvoll sein. Vor allem sollten hier auch für die Großzahl nicht institutionell geförderter
Einrichtungen und Initiativen erweiterte neue Fördermöglichkeiten aus Bundesmitteln
geschaffen werden. Eine Überarbeitung der Bundesgedenkstättenkonzeption sollte deshalb die
verbesserten und durch direkte Antragstellung vereinfachten Fördermöglichkeiten auch für
kleine und mittlere Gedenkstätten sowie Erinnerungsinitiativen berücksichtigen. Das
ausgewogene Miteinander der zentralen großen Gedenkstätten und Dokumentationszentren
mit der Vielzahl der kleinen und mittleren Einrichtungen und zivilgesellschaftlich getragenen
Initiativen ist ein unverzichtbarer Bestandteil für eine nachhaltige Erinnerungskultur auf
Bundesebene.
Eine zentrale Institution für den Informationsaustausch, die Beratung bestehender
Arbeitskreise und die Vernetzung der Gedenkstätten in Deutschland und darüber hinaus ist das
Gedenkstättenreferat bei der Stiftung Topographie des Terrors. Mit Austausch-,
Weiterbildungs- und Vernetzungsangeboten trägt es zur Professionalisierung der Arbeit vor
allem auch in den kleineren Gedenkstätten bei. Eine auskömmliche Ausstattung des
Gedenkstättenreferates kann dazu beitragen, gedenkstättenübergreifend Defizite in der
historisch-politischen Bildungsarbeit zur NS-Vergangenheit zu identifizieren und in Kooperation
mit den Gedenkstätten dazu beizutragen, dass Methoden und Inhalte der Bildungsarbeit in den
Gedenkstätten aktuellen und zukünftigen Herausforderungen angepasst werden.
Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland, 11.10.2022
(Die Arbeitsgemeinschaft bündelt die Interessen der KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen,
Buchenwald, Dachau, Flossenbürg, Mittelbau-Dora, Neuengamme, Ravensbrück und
Sachsenhausen)