Jüdische Geschichte(n) - Karl Fruchtmann. Ein jüdischer Filmerzähler aus Thüringen.

Film und Gespräch am Mittwoch, 22. September, um 19 Uhr im Kino mon ami, Weimar.

„Kaddisch nach einem Lebenden“

Einführung & Gespräch:
Karl Prümm (Medienwissenschaftler)
Günther Wedekind (Kameramann)
Moderation:
Ronald Hirte (Gedenkstätte Buchenwald) und Wieland Koch (LZT)

 

Karl Fruchtmann wurde 1915 in Meuselwitz in Thüringen geboren. Dort verlebte das Kind einer aus Polen eingewanderten jüdischen Familie eine relativ glückliche Kindheit. Umso größer war der Schock der Ausgrenzung und Verfolgung durch das NS-Regime. 1936 wurde er mit seinem Bruder ins KZ Sachsenburg verschleppt, später nach Dachau. 1937 gelang ihm die Flucht nach Palästina. Dort arbeitete er u. a. als Bauarbeiter und Büroangestellter. 1948 nahm er am israelischen Unabhängigkeitskrieg teil. Später lebte er mit seiner kanadischen Frau in London, New York und Palästina. 1958 kehrte er nach Deutschland zurück und lernte beim WDR von der Pike auf die Fernseharbeit. 1963 begann er eine erfolgreiche TV-Karriere, die eng mit Radio Bremen verbunden war. 2019 erschien das Buch „Karl Fruchtmann. Ein jüdischer Erzähler“. 2021 würdigte die ARD ihn mit dem animierten Dokumentarfilm „Wie der Holocaust ins Fernsehen kam“.

Der Autorenfilmer Fruchtmann gilt als einer der eigenwilligsten Fernsehregisseure der alten Bundesrepublik. Er versuchte dem deutschen Fernsehpublikum das Unbegreifliche der Shoah begreifbar zu machen. Oft thematisierte er deshalb Gewalt und Gewalterfahrung, um sein Publikum so zu einer Reflexion über Ausgrenzungs- und Verfolgungsmechanismen in der Vergangenheit und in der Gegenwart anzuregen. Viele seiner Filme wurden zu Marksteinen des bundesdeutschen Fernsehens hin zu einem kritischen Medium. Dennoch ist sein Werk heute weitgehend vergessen.

Das Ende der 1960er Jahre von Radio Bremen produzierte Fernsehspiel „Kaddisch nach einem Lebenden“ von Karl Fruchtmann, in dem er seine eigene KZ-Haft verarbeitete, ist in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich: Aus der Perspektive eines Überlebenden wird von Peri erzählt, der nach dem früher mit ihm im KZ inhaftierten Bach sucht. Diese Suche erfolgt jedoch nicht im Spiegel der deutsch-nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft, stattdessen verortet Fruchtmann die Geschichte in Israel, wo er auch drehte. In diesen Filmen werden die Perspektiven von Überlebenden, der Blick auf ihre psychische Versehrtheit und das Fortwirken der Vergangenheit in der Gegenwart für ein deutsches Fernsehpublikum sichtbar.

Prof. Dr. Karl Prümm (*1945) arbeitete bis zu seiner Emeritierung als Medienwissenschaftler an der Philipps-Universität Marburg. Er erforschte v. a. Bildgestaltung und Kameraarbeit im Film und begründete den renommierten Marburger Kamerapreis. Ihm vor allem gebührt das Verdienst der Wiederentdeckung Karl Fruchtmanns.

Günther Wedekind (*1929) arbeitete jahrzehntelang erfolgreich als TV-Kameramann und führte bei fast allen wichtigen Filmen Karl Fruchtmanns die Kamera.

 

Das Angebot ist kostenfrei.

Die geltenden Hygienebestimmungen sind einzuhalten.