Zwangsarbeit im Stollen. Zeichnung von Camille Delétang, 1944/45. KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Einzigartiger Quellenfund

Zeichnungen und Dokumente aus dem KZ-Außenlager Holzen wurden wiederentdeckt

Der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora wurde kürzlich von einer Familie aus Celle ein einzigartiger Fund übergeben: eine Mappe mit etwa 150 Häftlingszeichnungen sowie handschriftlichen Doku­menten samt einem Häftlingstagebuch aus dem KZ-Außenlager Holzen (Niedersachsen).

Über 67 Jahre galten die Zeichnungen und Dokumente als verschollen – nun sind sie wieder aufgetaucht. Die Zeichnungen, darunter 130 eindrucksvolle Porträts von Häftlingen, stammen überwiegend vom französischen Oberst Camille Delétang (1886-1969), der das Lager überlebte und nach dem Krieg Präsident der französi­schen Association Nationale des Anciens Combattants wurde.

Delétang gehörte zu den ersten Häftlingen, die im September 1944 in das neu errichtete Lager Holzen bei Eschershausen im Weserbergland deportiert wurden. Dort musste er Zwangsarbeit beim Ausbau einer Stollenanlage leisten, in der das Volkswagenwerk V1-Flugbomben montieren lassen wollte. In der knappen Freizeit zeichnete Déletang Porträts seiner Mithäftlinge und Szenen aus dem Lageralltag. Die Recherchen zu den 130 porträtierten Häftlingen haben erst begonnen. Doch es deutet sich bereits jetzt an, dass etwa ein Drittel von ihnen das Kriegsende nicht erlebte. Die Zeichnungen sind ihr letztes Lebenszeichen.

Als das Lager Anfang April 1945 angesichts der anrückenden US Army geräumt wurde, übergab Delétang seine Zeichnungen dem französischen Häftlings­arzt Dr. Armand Roux (1886-1960), weil er glaubte, dass dieser den Todesmarsch in das KZ Bergen-Belsen eher überleben würde. Dr. Roux steckte die Zeichnun­gen zusammen mit Dokumenten aus dem Krankenrevier und seinem Lager-Tagebuch in eine Mappe, die er mit sich führte, als der Transportzug am 8. April 1945 in die „Hasenjagd“ von Celle geriet: Nach einem Luftangriff auf den Bahnhof von Celle machten SS und Einheimische Jagd auf flüchtige Häftlinge und erschossen mindestens 170 von ihnen. Roux überlebte, doch verlor er in dem Chaos die Mappe mit den wertvollen Zeichnungen und Dokumenten. Sie galten seither als verschollen.

Was Dr. Roux nicht wusste: Noch am gleichen Tag fand eine Deutsche die Mappe nur wenige Meter vom Bahndamm entfernt in ihrem Schrebergarten. Ihr heute 91jähriger Schwiegersohn übergab die eindrucksvollen Dokumente nun der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Dass die Zeichnungen und Dokumente nun aufgetaucht sind, ist an sich schon eine Sensation. Noch beeindruckender wird der Fund aber durch die dichte Überlieferungsgeschichte zur Entstehung und zum Verlust der Zeichnungen sowie zur Bezie­hung des Künstlers zu polnischen Häftlingen, die in Holzen mit den Franzosen zusammen Wider­standsgruppen bildeten. Zu diesen Gruppen zählten neben dem polnischen Musiker Kazimierz Tyminski und dem späteren Vizedirektor der Gedenkstätte Auschwitz Jan Chlebowski auch Georges Navet de Vichy (geb. 1891), ein Verwandter von General de Gaulle. Er starb am 30. März 1945 in Holzen.

Wegen der außerordentlichen Bedeutung des Fundes und der sehr dichten Über­lieferung sollen die wiedergefundenen Zeugnisse aus dem Lager Holzen zusam­men mit ergänzenden Informationen zur Lagergeschichte und zum Massaker von Celle in einer Ausstellung präsentiert werden, die ab April kommenden Jahres durch Deutschland, Frankreich und Polen wandern soll.